Das Bild zeigt das Podium der Veranstaltung.
© BildungsBausteine e.V.

Bericht zur Veranstaltung "Getrennt? Gegeneinander? Verknüpft!" am 15.12.15


Am 15. Dezember 2015 luden die BildungsBausteine e.V. im Rahmen ihres Projekts „Verknüpfungen“ zu einer Fachveranstaltung in den Berliner Pfefferberg ein. Vor und mit etwa 60 Teilnehmenden wurde diskutiert, in welchem Verhältnis Antisemitismus und Rassismus zueinander stehen, wie sie miteinander verknüpft sind und wie sich diese Verknüpfungen in der Bildungsarbeit angemessen thematisieren lassen.

Dr. Yasemin Shooman (Jüdisches Museum Berlin) gab in ihrem Einführungsvortrag einen Überblick über die wissenschaftliche Debatte zum Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus. Anschließend diskutierten Konstanze Ameer, Susanna Harms, Gunnar Meyer, Iven Saadi und Tatjana Volpert aus dem „Verknüpfungen“-Team in einer von Dr. Andrés Nader (RAA Berlin) moderierten Runde unter Einbezug des  Publikums, welche Konsequenzen sich aus den unterschiedlichen Positionen zu dieser Debatte für die Bildungsarbeit ergeben. Dabei kam auch zur Sprache, welche Emotionen und Befürchtungen hinter diesen Positionen stehen (können) – und warum sie die Debatte oft so schwierig machen.-

Einführungsvortrag


Wie Frau Shooman, die Leiterin der Akademieprogramme in der Akademie des Jüdischen Museums Berlin, ausführte, existieren insgesamt relativ wenige theoretische und vergleichende empirische Studien über das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus. Eigentlich sollte von beiden Phänomenen im Plural gesprochen werden, denn sowohl Rassismus als auch Antisemitismus seien in ihren Erscheinungsformen an Raum und Zeit gebunden. So unterschiede sich der Kolonialrassismus von dem Rassismus gegen Sinti und Roma oder dem antimuslimischen Rassismus, und auch der christliche Antijudaismus sei analytisch vom modernen Antisemitismus und dem sekundären Antisemitismus nach 1945 abzugrenzen.

US-amerikanische Debatten


Shooman verglich die Debatten in den USA und in Westeuropa miteinander und stellte fest, dass in den USA Juden und Jüdinnen eher als Weiße kategorisiert werden und Jüdisch-Sein als reine Religionszugehörigkeit angesehen werde. Schon Mitte des 20. Jahrhunderts sei der afro-amerikanische Soziologe W.E.B. Du Bois angesichts seiner Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus zu dem Schluss gelangt, dass der Rassismus, der Menschen entlang einer Hautfarbenskala einteilt, nicht die einzige Form von „race prejudice“ darstelle. Ähnlich wie z.B. der antikoloniale Theoretiker Frantz Fanon sah er den europäischen Antisemitismus als eine Unterdrückung von Weißen durch Weiße an. Weiß-Sein sei jedoch eine soziale und politische Konstruktion, die die dominante Position in einer Machtbeziehung darstellt und prinzipiell veränderbar sei. Die Kategorie „weiß“ stehe allerdings nicht allen Gruppen offen. So bestehe ein Unterschied zwischen den Rassismuserfahrungen von Schwarzen und den Diskriminierungserfahrungen von aschkenasischen Juden und Jüdinnen (mit west- oder osteuropäischem Background) in der Frage der Sichtbarkeit. Durch das „Passing“, das Durchgehen als Weiße, hätten Letztere die Möglichkeit, die Effekte des Antisemitismus abzumildern. Dies ginge jedoch häufig auf Kosten ihrer jüdischen Kultur und Identität.

Debatten in Westeuropa


Shooman verwies darauf, dass hier ein deutlicher Unterschied zu europäischen Debatten besteht, denn Assimilation hat europäische Juden und Jüdinnen gerade nicht vor Diskriminierung und Verfolgung geschützt. So wurden sie seit dem 18. Jahrhundert von europäischen Rassentheoretikern als Nicht-Weiße eingestuft, was unter anderem mit ihrer Physiognomie begründet und mit der Behauptung mentaler und kultureller Minderwertigkeit verknüpft wurde. Die Geschichte von Antisemitismus und Rassismus sei in Europa zwar zunächst getrennt voneinander verlaufen, jedoch habe sich der Antisemitismus immer mehr dem Rassismus angenähert. Sowohl der moderne Antisemitismus als auch der Rassismus, so Shooman, seien ein Produkt der europäischen Moderne und dien(t)en im Zeitalter der Gleichheitspostulate als Legitimierung gesellschaftlicher Ungleichheit. Die Historikerin Claudia Bruns habe analysiert, wie koloniale Rassenkonstrukte seit dem 18. Jahrhundert auch Anwendung auf innereuropäische Bevölkerungsgruppen wie Sinti und Roma oder Juden fanden, die mehr und mehr als eigene Rasse angesehen und als „kolonial Andere“ eingestuft wurden. Kritiker dieser Perspektive wie der Historiker Jeffrey Herf oder die Soziologen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno verwiesen auf den eliminatorischen Charakter des Antisemitismus im Nationalsozialismus im Unterschied zu den ökonomischen Interessen weißer Plantagenbesitzer in Amerika, deren Ziel die Versklavung von Schwarzen war und nicht primär ihre physische Vernichtung. Die Psychologin Birgit Rommelspacher habe auf bedeutsame semantische Differenzen verwiesen: So nähre sich Antisemitismus häufig eher von Projektionen des Über-Ichs, indem er dem „Anderen“ ein Zuviel an Intelligenz, Reichtum und Macht zuschreibe, während der koloniale Rassismus stärker von Es-Projektionen bestimmt sei und dem „Anderen“ besondere Triebhaftigkeit, Sexualität und Aggressivität unterstelle.

Erinnerungspolitische Konkurrenzen


Eine weitere Ebene der Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus seien Geschichtspolitik und die Erinnerung an Kolonialismus und die Shoah, führte Yasemin Shooman weiter aus. Es gebe hier eine Tendenz zur „Opferkonkurrenz“ vor dem Hintergrund, dass dem Kolonialismus und dem Völkermord an den Herero in Namibia sowie der Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma in Deutschland nicht genügend öffentliche Aufmerksamkeit eingeräumt werde. Auch in den USA gebe es Debatten darüber, warum es kein dem U.S. Holocaust Memorial Museum vergleichbares Museum für die Geschichte der Sklaverei gibt. Die Konsequenz daraus sei jedoch nicht weniger Erinnerung an die Shoah, sondern mehr Erinnerung an Kolonialismus. Die Erziehungswissenschaftlerin Astrid Messerschmidt habe auf die mangelnde Thematisierung rassistischer Kontinuitäten nach 1945 und Formen des Alltagsrassismus aufmerksam gemacht; stattdessen sei auf Begriffe wie Ausländerfeindlichkeit ausgewichen worden. Erst in den 1980er Jahren habe in der BRD eine Rezeption der angelsächsischen und französischen Rassismusforschung eingesetzt, sodass der sich wandelnde Rassismus analysiert werden konnte, der eher mit Kultur als mit dem nach 1945 verpönten Rassebegriff argumentiere.

Abschließend plädierte Shooman mit W.E.B. du Bois für die Überwindung eines intellektuellen „Provinzialismus“ hin zu einer breiteren Konzeption von Ausgrenzungsphänomenen. Mit detaillierten Analysen, in denen diese in Beziehung zueinander gesetzt werden, könnten Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden.

Moderierte Team-Diskussion


Anschließend gaben Konstanze Ameer, Susanna Harms, Gunnar Meyer, Iven Saadi und Tatjana Volpert aus dem „Verknüpfungen“-Team der BildungsBausteine e.V. in einer von Dr. Andrés Nader, dem Leiter der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Berlin, moderierten Runde einen Einblick in die teaminternen Debatten über das Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus und daraus resultierenden Konsequenzen für die Bildungsarbeit.

Unterschiedliche Positionen im Team

Zunächst fragte Nader nach den Diskussionen und Konflikten im Team. Die Projektmitarbeiter_innen verwiesen auf die Geschichte der BildungsBausteine, deren Schwerpunkt viele Jahre auf Bildungsarbeit zum Thema Antisemitismus gelegen hat. Im Zuge einer stärkeren Einbeziehung des Themas Rassismus sowie einer stärkeren Erweiterung des Teams um Kolleg_innen mit Rassismuserfahrungen sei dort viel – und zum Teil auch heftig – über dieses Verhältnis diskutiert worden. Konkreter Anlass war u.a. eine häufig verwendete Methode der BildungsBausteine zur Kategorisierung verschiedener Formen von Antisemitismus, in die Formen von Rassismus einbezogen werden sollten.

Hinsichtlich der Frage, ob Antisemitismus dabei als Unterkategorie von Rassismus oder als eigenständige Kategorie darstellt werden soll, besteht im Team jedoch Uneinigkeit. Befürworter_innen einer eigenen Kategorie argumentierten u.a. damit, dass zwischen beiden Phanömenen wichtige Unterschiede bestünden. Zudem sei die Schärfung der Wahrnehmung aktueller antisemitischer Phänomene (und auch die Existenz spezifischer Förderschwerpunkte für Bildungsprojekte gegen Antisemitismus) ein Ergebnis langer Kämpfe gewesen, und einzelne Teammitglieder formulierten die Sorge, die Auseinandersetzung mit Antisemitismus könnte nun (wieder) hinter einer Beschäftigung mit Rassismus oder allgemein Diskriminierung verschwinden. Dem wurde von anderen Kolleg_innen die Angst vor einer anhaltenden Nicht-Thematisierung von Rassismus gegenübergestellt. Ein Projektmitarbeiter führte an, dass in seinen Augen keine überzeugenden analytischen Unterscheidungen zwischen Antisemitismus und Rassismus vorhanden seien; eine andere Mitarbeiterin verwies wiederum darauf, dass es doch in der pädagogischen Arbeit des Modellprojekts sinnvoller sei, sich auf Gemeinsamkeiten zu beziehen und die Solidarität zwischen den Betroffenen von Diskriminierung zu stärken, statt mit einer zu starken Betonung von Unterschieden eine Anerkennungs- oder Opferkonkurrenz zu befördern.

Emotionalität und persönliche Bezüge


Andrés Nader leitete dann zur Frage über, warum diese Auseinandersetzungen – auch innerhalb des Verknüpfungen-Teams – häufig so emotional geführt werden. Dies hat damit zu tun, dass diese Debatten eng mit der Frage nach eigenen biografischen Bezügen zu diesen Themen, gesellschaftlichen Positionierungen sowie politischen Identitäten und damit verbundenen persönlichen Motivationen für die Arbeit verknüpft sind. Hier wurde von den Diskutant_innen u.a. auf eigene (familiäre) Rassismus- und Antisemitismuserfahrungen verwiesen, von anderen wiederum auf ihre politische Sozialisation und ihr Engagement für eine Anerkennung von Antisemitismus und/oder Rassismus als wichtiges Thema (auch) für die politische Bildungsarbeit. Prägend für einige Teammitglieder waren sowohl Erfahrungen von Antisemitismus in rassismuskritischen Räumen und umgekehrt von Rassismus in antisemitismuskritischen Kreisen. Deshalb sei es so wichtig, beides zusammen zu denken, um nicht im Namen eines Antirassismus oder Anti-Antisemitismus neue Ausschlüsse und Verletzungen zu (re-)produzieren. Froh zeigten sich alle fünf Diskutant_innen darüber, dass es es im Team trotz aller Unterschiede und Konflikte möglich ist, daran auf einer solidarischen und konstruktiven Ebene gemeinsam zu arbeiten.

Leider blieb am Ende des Abends nur wenig Zeit, um die Debatte für das Publikum zu öffnen, und so diskutierten viele Anwesende auch nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung noch weiter. Einig waren sich alle, dass dieses spannende Thema in weiteren Veranstaltungen vertieft werden sollte.


Ulrike Granitzki


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